Besucher aus dem hohen Norden erleben der Zauber der Jahreszeiten im Nationalpark Hainich
Der Mai im Nationalpark Hainich – das ist ein Bad aus Gerüchen, Farben und Geräuschen. Noch ist das Blätterdach der mächtigen Buchen nicht ganz geschlossen und die Natur bietet ein Schauspiel aus Licht und Schatten. Damit bestehen beste Voraussetzungen, um den Zauber des Frühlings bei einer erlebnisreichen Wanderung zu genießen.
Im Rahmen des Mitmachen-Programms bieten die Ranger oder die Nationalparkführer viele kostenfreie Führungen an. Leider hatte sich zum Termin am 2. Mai niemand angemeldet, so dass die Rundwanderung auf dem Naturpfad an der Thiemsburg beinahe ausgefallen wäre. Doch der Zufall wollte es, dass sich vier Paare aus Flensburg doch noch am Treffpunkt einfanden. Die Gruppe verbrachte eine Woche Urlaub in Eisenach und wollte den Nationalpark Hainich unbedingt kennen lernen.
Nach den notwendigen organisatorischen Hinweisen ging die Gruppe zuerst zum Relief am Nationalpark-Informationszentrum. Hier konnten sich die Besucher aus dem hohen Norden einen Überblick über den Nationalpark Hainich und die Welterberegion Wartburg-Hainich verschaffen. Interessiert nahmen die Gäste die Informationen zur Geschichte und zur Entwicklung des Nationalparks Hainich entgegen. Der Hinweis auf den sich ganz in der Nähe befindlichen geographischen Mittelpunkts Deutschlands durfte an dieser Stelle nicht fehlen.
Vom Relief führte die Route zum Eingangstor am Schilfteich. Im Schatten der Kastanie erhielten die Besucher Hinweise zu den Besonderheiten des Teichs. Es gibt im Nationalpark Hainich nur wenige stehende Gewässer. Das hier vorhandene Wasser war einer der Gründe, warum sich an diesem Ort von Zeit zu Zeit Menschen aufhielten. Archäologen entdeckten im Bereich der Thiemsburg Siedlungsspuren, die ungefähr 7000 Jahre alt sind. In späteren Zeiten wurde das Gelände unter anderem als Fliehburg genutzt.
Auf dem Weg zur nächsten Station ließen es sich die Gäste nicht nehmen, über den „Tausendfüßler“ zu balancieren und der „Dicken Eiche“ einen Besuch abzustatten. Vor der Waldpforte bog die Gruppe auf den Naturpfad ab und lief jetzt durch den dichter werdenden Wald, der sich im schönsten Maiengrün zeigte. Es ging vorbei an umgefallenen Baumstämmen, die gleich einem Mikado-Spiel faszinierende Strukturen bilden. Der Boden war bedeckt mit vielen verschiedenen Kräutern, da noch genügend Licht auf den Boden fiel.
Weißer Flor-Teppich aus Bärlauchblüten
Am Steingraben angekommen erfuhren die Gäste, dass dieser nur zeitweise Wasser führt. Die ungewöhnlichen Strukturen der freiliegenden Wurzeln stießen auf großes Interesse bei den Foto-Freunden, von denen es einige in der Gruppe gab. Ausnehmend große Bewunderung fanden die Blüten des Bärlauchs, die wie ein weißer Flor-Teppich den Boden weit und breit bedeckten. Während des ganzen Weges, der sich wunderschön am Steingraben entlang schlängelt, sorgte der Anblick der unzähligen Bärlauchblüten viele Male für Begeisterung.
Überrascht waren die Besucher, als ihnen gesagt wurde, dass Ende Februar anstelle des Bärlauchs die filigranen Blüten der Märzenbecher den Boden wie ein schneeweißes Blüten-Meer überzogen hatten. Oft blieben die Gäste stehen, um die weiße Pracht des Bärlauchs zu bewundern. Ab und zu zauberten die Sonnenstrahlen durch die noch vorhandenen Lücken des Blätterdachs der Bäume kleine Lichtkegel auf den Boden.
Geschichten von Grenzsteinen und einem Dichterfürsten
Nachdem die Route bisher dem Steingraben folgte, gelangte die Gruppe an eine Weggabelung. Hier fanden die Grenzsteine, die an dieser Stelle zu sehen sind, das Interesse der Besucher. Deshalb gab es Informationen zu den kleinteiligen Strukturen, die die Vergangenheit und die Gegenwart im Gebiet des heutigen Landes Thüringen kennzeichnen. Die Landkarte sah im 19. Jh. eher wie ein Puzzle aus, das einem Gewirr aus vielen kleinen und kleinsten „Staaten“ glich. Deren Grenzen änderten sich viele Male. Zahlreiche Grenzsteine im Nationalpark Hainich und an vielen anderen Orten zeugen von dieser wechselvollen Geschichte.
An diesem sowohl geschichtsträchtigen als auch idyllischen Platz bot sich die Gelegenheit, auf einen berühmten Dichterfürsten hinzuweisen. Johann Wolfgang von Goethe wirkte nicht nur in Weimar, sondern weilte häufig in der Region, da er als geheimer Rat – er war „Dichter im Nebenberuf“ – seinen Landesherrn begleiten und sich um Verwaltungsaufgaben kümmern musste. Sie erfuhren, dass Goethe ein sehr guter Reiter war, der oft und gern die Natur durchstreifte.
Nun wurde es Zeit für ein bisschen Poesie. Passend zur Jahreszeit und zur Natur hörten die Gäste Goethes Gedicht „Gefunden“ ganz aufmerksam zu.
Lebendiges Totholz und besondere Bäume
Entlang der nun folgenden Strecke fielen im frischen Grün zahlreiche umgefallene Bäume auf. Diese werden oft als Totholz bezeichnet. Die Besucher konnten sich selbst davon überzeugen, dass das Totholz voller Leben ist. Sie sahen Baumpilze und allerlei kleines Getier. Die abgestorbenen Bäume stellen das perfekte Sinnbild für den natürlichen Stoffkreislauf dar. Viele Lebewesen, darunter Pilze, Insekten oder kleine Tiere, finden hier den vollkommenen Lebensraum. Mikroorganismen zersetzen das Holz und wertvoller Boden entsteht. Das Leben beginnt auf das Neue. Jeder der Gäste bekam die schön gestaltete Postkarte „Läuft bei uns“, die der Nationalpark Hainich anlässlich seines 25jährigen Bestehens herausgebracht hatte. Sie zeigt in vergnüglicher Weise die Entwicklung zum „Urwald mitten in Deutschland“. Übrigens: Die Postkarten sind immer sehr begehrt.
Eine botanische Kostbarkeit lernten die Besucher am Eingang zur Waldpromenade kennen. Der Erlenbruch – dieses wunderschöne kleine Biotop - sorgt stets für Bewunderung und Staunen. Hier lässt sich beobachten, welche Strategien die Natur entwickelt, um mit den unterschiedlichsten Umweltbedingungen umzugehen. Während die Buchen keine nassen Füße mögen, stehen die Schwarzerlen direkt im Wasser und fühlen sich sehr wohl dabei. Gräser ergänzen das feuchtigkeitsliebende Ensemble.
Am Erlenbruch fällt eine schräg stehende Hainbuche auf. Die Gäste wussten, dass diese Bäume keine Buchen sind, sondern dass sie zu den Birkengewächsen gehören. Sie erhielten an diesem Ort Informationen zu dem ungewöhnlichen Verhalten dieser besonderen Bäume. Hainbuchen überstehen die größten Verletzungen und treiben schnell wieder aus. Deshalb wurden sie schon in grauer Vorzeit vielseitig genutzt. Sie bildeten zum Beispiel dichte und beinahe undurchdringliche Wehr-Hecken zum Schutz von Fliehburgen. Eine andere Verwendung fanden diese lebenden Zäune beim Schutz von Feldern oder Viehkoppeln.
Einigen Besuchern fielen mehrere abgesägte Baumstämme auf und sie fragten nach den Gründen dafür. Da der Nationalpark Hainich die festgelegten Wanderwege sicher halten muss, werden ab und zu Bäume abgesägt, um die Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen. Diese Eingriffe geschehen sehr sparsam und nur dort, wo es unbedingt nötig ist.
Bevor die Gruppe wieder zum Ausgangspunkt der Rundwanderung gelangte, gab es noch einen kurzen Halt an zwei Traubeneichen, die als „Braut und Bräutigam“ schon seit mindestens 100 Jahren bekannt sind. Am Nationalpark-Informationszentrum wieder angekommen, konnten die Gäste noch eine Anzahl Aronstäbe bewundern.
Nun brauchten alle eine kleine Rast. Das nahegelegene Gasthaus bot dafür die richtige Gelegenheit. Allerdings währte die Verschnaufpause nur kurz, denn die Besucher wollten noch die Ausstellungen im Nationalpark-Informationszentrum sehen. Nach dem anschaulichen Rundgang dort fuhr die Gruppe wieder nach Eisenach zurück, um die restlichen Urlaubstage in der Region zu genießen.
Bärlauch-Teppiche so weit das Auge reicht, fast schon Sommerwetter und aufgeschlossene und wissbegierige Gäste – das sind ausgezeichnete Rahmenbedingungen für eine geführte Wanderung im Mai.
So verwundert es nicht, dass aus den ursprünglich geplanten drei schließlich sechs Stunden wurden, die die Gruppe im Nationalpark Hainich verbrachte. Die Gäste zeigten sich sehr beeindruckt von der prachtvollen Natur mit ihren vielfältigen Facetten. Vom Besuch im Nationalpark Hainich nahmen sie zahlreiche Eindrücke und Informationen mit nach Hause und erlebten den Zauber der Jahreszeiten auf ganz besondere Weise.
Nationalparkführerin Silvia Daniel
Kontakt: post@silvia-daniel.de